IDENTITÄT

Es gibt viele Möglichkeiten, Identität zu verstehen. So könnten wir uns entweder vorstellen, dass sie zwei Seiten hat, wie eine Münze, oder, dass sie wie ein Dialog oder ein Spiel funktioniert, das zwischen zwei Polen hin und her wechselt. Auf der einen Seite ist Identität etwas, das uns gegeben wird. Wir werden ständig durch bestimmte Etiketten positioniert, die auch in einem hierarchischen Verhältnis zu anderen stehen. Identität kann nicht ohne Hierarchien existieren – wir sind durchzogen von Machtsystemen, die uns bestimmte Grenzen setzen. Über diese Grenzen hinauszugehen, wird häufig bestraft: Es bedeutet, mit einer Art von Schmerz konfrontiert zu werden oder zumindest damit umgehen zu müssen. Sich zu positionieren kann bedeuten, etwas zu verlieren, zum Beispiel das, was ein Mensch in der Vergangenheit war. Sie verlieren etwas von dem Bild, das mit dem verbunden ist, was einmal wichtig war. Identität kann aber auch einen Nutzen mit sich bringen, und beispielsweise ein Ort sein, von dem aus wir z.B. politische Forderungen stellen können. Das führt uns zu der anderen Seite von Identität: Es gibt Zeiten, in denen ein Mensch sich für eine Identität entscheidet, entweder weil sie uns ein Bild von uns selbst gibt, das uns gefällt, oder weil sie es uns erlaubt, bestimmte Dinge auf einer kollektiven Ebene zu tun (z.B. die Kategorien „Frau“, „Haus- und Pflegearbeiter*in“ oder „Migrant*in“). In der Identität steckt also auch Handlungsfähigkeit und eine Fähigkeit zur Transformation. Die Identität befindet sich also zwischen diesen beiden Polen: dem, der uns gegeben wird, und dem, den wir wählen; dem, der uns begrenzt, und dem, der uns die Möglichkeit gibt, bestimmte Dinge zu tun. Und in diesem Sinne ist sie niemals statisch, sondern etwas, das ständig im Werden begriffen ist und im Alltäglichen, durch bestimmte Arten des Fühlens und des Seins in der Welt, aufgebaut wird.